In ihrem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Leben mit und nach Krebs» hat Marie-Luise Fontana, Psychotherapeutin und Psychoonkologin, die Rezidivangst eingeordnet, über die Funktion und Bedeutung dieser Angst informiert und mögliche Strategien im Umgang mit und der Bewältigung der Angst vor einem Rückfall beleuchtet.
Angst ist noch immer eine wichtige Funktion und unverzichtbar für das Überleben unserer Spezies. Durch das Gefühl der Angst macht sich unser Körper bereit für Kampf oder Flucht. Der Puls wird schneller, der Blutdruck steigt, man beginnt zu schwitzen, die Verdauung funktioniert nicht mehr wie gewohnt, der Mund wird trocken. All dies können körperliche Anzeichen für das Aufkommen von Angst sein.
Angst, Angststörung und Phobien
Dabei ist Angst eine normale Reaktion auf Gefahr oder als Folge negativer Erfahrungen. Sie entsteht tief im Kopf und es ist schwierig sie mit Vernunft und greifbaren Gedanken zu bezwingen. Sobald die Häufigkeit oder Intensität ein durchschnittliches Mass übersteigen, spricht man von Angststörungen. Sie verursachen bei den Betroffenen Leiden und/oder führen zu Vermeidungsverhalten und damit zu Einschränkungen im Alltag. Auch Phobien können zu Vermeidungsverhalten und Einschränkungen führen und längerfristig die Angst verstärken. Phobien sind psychische Störungen, bei denen die Angst durch eindeutig definierte Situationen hervorgerufen wird. Betroffene wissen in der Regel, dass die Situationen meistens ungefährlich sind und sie übertrieben reagieren. Häufig entsteht Erwartungsangst, also Angst davor, dass die Situation eintritt.
Rezidiv- und Progressionsangst
Anders als bei einer Phobie ist die Angst vor einem Rezidiv eine Realangst und berechtigt. Krebs kann wiederkommen oder fortschreiten und das Leben bedrohen. Bis zu 90% der Krebspatient:innen erleben im Verlauf oder nach ihrer Krebsbehandlung Angst vor einem Rückfall.
Angstverläufe
So individuell eine Krebserkrankung ist, so individuell ist auch ein Angstverlauf. Laut Marie-Luise Fontana zeigt sich ein durchschnittlicher Verlauf darin, dass nach Abschluss der Therapie und in der Zeit vor Nachsorgeuntersuchungen Angst und Anspannungen ansteigen. Betroffene stehen während diesen Phasen meist weniger unter ärztlicher Kontrolle, haben keinen direkten Kontakt mehr zu Onkolog:innen und Pflegefachpersonen und es wird erwartet, dass sie zurück in den Alltag finden.
Selbst wenn Nachsorgeuntersuchungen kein Rezidiv zeigen, können in den Phasen danach Krankheitsbilder wie eine normale Grippe die Angst wieder hervorrufen. Der Körper signalisiert Schmerzen oder ein schlechtes Gefühl und das Gehirn verbindet diese Symptome mit der bereits erhaltenen Krebsdiagnose.
Wer benötigt nun Hilfe?
Ob jemand aufgrund seiner Angst Hilfe aufsuchen sollte, ist von der empfundenen Belastung abhängig. Hinweise für eine Behandlung können sein:
- Die Gedanken kreisen sehr häufig um den Krebs
- Schlafstörungen aufgrund der Angst / des Grübelns
- Länger anhaltende, starke innere Unruhe
- Über längere Zeit Verminderung des Appetits und/oder Verdauungsstörungen
- Nicht mehr entspannen zu können
Was also tun mit der Angst?
Angst wegzudrücken ist ein natürlicher Reflex aber funktioniert nur einen Moment lang und braucht viel Kraft. Je länger man Angst versucht wegzudrücken, je mehr Kraft braucht es und die Angst kommt mit doppelter Kraft zurück.
- Besser ist es die Angst kennenzulernen und herauszufinden, was genau Angst macht. Habe ich beispielsweise Angst vor einer weiteren Chemotherapie oder wäre eine solche lediglich fürchterlich mühsam. Oftmals ist Angst nur eine Erinnerung an eine schmerzhafte Zeit.
- Es ist hilfreich, sich bewusst zu machen, dass die Angst nicht schaden, sondern vielmehr beschützen will. Dies macht es einfacher, sie «anzunehmen».
- Die Geschichte zu Ende denken: So schmerzhaft es ist, so hilfreich und entlastend kann es sein, bis zu jenem Punkt zu denken, der wirklich Angst macht – Sterben und Tod, Abschied nehmen von den Liebsten und diese mit ihrem Schmerz zurücklassen zu müssen. Hier stellen Betroffene oft fest, dass weniger Angst als vielmehr Trauer sie beschäftigt.
- Manchen Betroffenen hilft es, ihrer Angst einen Namen zu geben und mit ihr in Dialog zu treten.
- Normalisieren Sie Angst. Es ist normal, dass Sie Angst haben. Sie dürfen die Angst aber auch wieder gehen lassen.
- Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Dinge, die Ihnen guttun.
- Fördern Sie die Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt. Achtsamkeitsübungen können dabei unterstützen, die kleinen, schönen Dinge besser wahrzunehmen.
- Lenken Sie sich mit Tätigkeiten ab, die Konzentration erfordern und die Sie mit Ihren Händen machen können.
- Integrieren Sie Bewegung und Entspannungsübungen in Ihren Alltag.
Referat der Veranstaltung
Marie-Luise Fontana, Psychoonkologische Psychotherapeutin SGPO
Abschluss der Veranstaltungsreihe 2024
Am 27. November 2024 findet die Veranstaltungsreihe «Leben mit und nach Krebs» für dieses Jahr ihren Abschluss. Andrea Rotter, Psychoonkologin, spricht darüber wie gezieltes Fördern der Selbstfürsorge den Umgang mit belastenden Situationen unterstützen kann.
Datum: | Mittwoch, 27. November 2024 |
Zeit: | 17:30 bis 19:00 Uhr |
Ort: | Kongresszentrum Kreuz, Zeughausgasse 41, 3011 Bern (Saal Fischer) |
Anmeldung: | erwünscht, bis 20. November 2024 via Anmeldeformular |
Programm: |
Die Teilnahme ist kostenlos.
Die Veranstaltungsreihe mit den Vorträgen bis November 2024 findet mit Unterstützung durch das University Comprehensive Cancer Center Inselspital Bern statt.
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